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Gedrängel zwischen den Wellen

Von Pfeil, Gerhard
DER SPIEGEL 22/2003

In Zeiten von Billigflügen und Insider-Reiseführern drängen immer mehr Wellenreiter an die besten Reviere der Welt. Einheimische Surfer verteidigen ihre Strände auch mit Gewalt. In Kalifornien regeln bereits Polizisten den Verkehr in der Brandung.

Für Badegäste hat der karge Strandabschnitt mit dem Namen Molho Leste wenig zu bieten. Das Wasser ist kalt, die Strömung tückisch. Und in der Luft hängt der Gestank einer nahe gelegenen Fischfabrik.

Unter Surfern genießt das ungastliche Gestade im portugiesischen Fischerort Peniche jedoch einen legendären Ruf. Kraftvolle Atlantikwellen, perfekt sortiert und vom ablandigen Wind glatt gezogen, rollen hier an die Küste. Ein Genuss für Kenner.

Auch die Reisegruppe aus Norddeutschland, die dieses Frühjahr Molho Leste aufsuchte, wähnte sich beim Anblick der Brecher im Paradies. Doch die Freude währte nicht lange.

Schon an Land ernteten die Fremden böse Blicke seitens der einheimischen Surfer. Als sich die blassen Besucher dann paddelnd den besten Wellen näherten, wurden sie mit Steinen beworfen. Nach einer halben Stunde beendeten die Gäste den Selbstversuch. Offenkundig aber noch nicht früh genug: Als die jungen Männer zurück zum Parkplatz kamen, waren zwei Reifen ihres Wohnmobils zerstochen.

Viel beschrieben ist der Mythos des Surfens. Im Einklang mit der Natur und mit Gleichgesinnten zu stehen, das ist es, wonach der Wellenreiter strebt. So zumindest lautet die überlieferte Philosophie jener, die den coolen Wassersport Mitte des vergangenen Jahrhunderts etablierten.

Doch die besinnlichen Zeiten sind vorbei. „Localism“, so heißt das Phänomen in der englischsprachigen Welt der Surfer, welches das Selbstbild der für entspannten Lifestyle berühmten Surfgemeinde nachhaltig ramponiert. Ob in Europa, Australien oder Kalifornien, aber auch auf entlegenen Inseln im Südpazifik: Immer aggressiver verteidigen einheimische Surfer, so genannte Locals, ihre „Spots“ gegen fremde Wassersportfreunde.

So mancher „Line-up“, jene Stelle im Wasser, wo die Surfer auf die Wellen warten und traditionell eigentlich ein Ort der inneren Einkehr, ist zur berüchtigten Kampfzone geworden. Mal wird versucht, vermeintliche Eindringlinge mit der Spitze des Bretts zu rammen, mal werden Faustschläge verteilt, um die Konkurrenz zu vertreiben. Besonders barsch ist der Fall eines Sylter Rettungsschwimmers, dem auf Bali ein wütender Surfer die scharfkantigen Finnen im Heck seines Bretts in den Rücken rammen wollte.

Vor den brisantesten Revieren, in denen die Platzhirsche wie Hooligans vorgehen, wird bereits in einschlägiger Literatur gewarnt. Vorigen Sommer entglasten Jugendliche im französischen Hossegor die Autos von Wellenreitern mit ausländischen Kennzeichen. Auf den Kanarischen Inseln operieren renitente Insulaner sogar im Stil gut organisierter Bürgerwehren. So endete auf Fuerteventura vor zwei Jahren ein Ausflug von Surfern mit Leihwagen schon bei der Anfahrt zu einem Spot. Unter der Sandpiste, die zum Strand führte, waren Nagelbretter vergraben.

Am dramatischsten sind die Zustände in Kalifornien, also ausgerechnet dort, wohin der Surfsport schon vor über hundert Jahren von Hawaii exportiert wurde. Rund um Santa Cruz und Los Angeles kontrollieren gefürchtete Surf-Cliquen Reviere, ähnlich wie Straßengangs ihr Ghetto. Von „organisierter Gewalt“ spricht bereits die weltweit operierende Surfrider Foundation. Besonders berüchtigt ist die Bucht von Palos Verdes bei Los Angeles. Seit hier vergangenes Jahr ein Vater und sein Sohn angegriffen wurden, patrouillieren routinemäßig Polizisten auf Jet-Skis übers Meer.

Fast scheint es, als wären der gewachsenen Surfgemeinde die Wellen der Ozeane nicht mehr genug. In Australien drängeln sich 2,5 Millionen Surfer um die besten Brecher. Selbst in Deutschland, einem Land, das kein vernünftiges Revier hat, gibt es 30 000 Surfer, die sich ihren Traum vom Wellenritt dank Billigflügen und einer einladenden Infrastruktur ermöglichen.

Denn lange vorbei sind die Zeiten, da die Suche nach der perfekten Welle noch mit großem detektivischem Aufwand und mancher Enttäuschung verbunden war. Wer bei der Reiseplanung auf Nummer Sicher gehen will, blättert heute im „Stormrider Guide“, einer Art Bibel für Surfer, in der die 80 besten Reviere der Welt en détail präsentiert werden. Die Auswahl reicht von Spots im Norden Schottlands bis hin zu Südseeparadiesen wie Westsamoa.

„Der Globus ist für Surfer kleiner geworden“, sagt Udo Twelkemeier, Geschäftsführer des Deutschen Wellenreit Verbandes (DWV). Die Einheimischen fühlen sich bedrängt. An Stränden in der Nähe von Städten wie Sydney, Lissabon oder Denpasar konkurrieren bis zu 400 Surfer um eine Welle. Spezielle Revierkenntnisse, die Einheimischen einst die längsten Ritte garantierten, bringen im modernen Kommunikationszeitalter immer seltener den entscheidenden Vorteil.

Unzählige Homepages liefern stündlich aktuelle Wellenreports. Webcams senden minütlich Live-Bilder von den Top-Stränden ins Netz. Zwar werden die Kameralinsen von den Locals regelmäßig zugeklebt, doch der Wellenreiter neuer Prägung ist so leicht nicht aufzuhalten. In den USA lassen sich Hightech-Surfer von speziellen Servicediensten neuerdings mittels SMS alarmieren, wenn gerade irgendwo eine tolle Welle bricht.

So herrscht der pure Darwinismus über den Riffen. Eine inoffizielle Verkehrsregel besagt zwar, dass der Surfer, der dem sich brechenden Teil der Welle am nächsten ist, Vorfahrt hat. Rollt aber ein besonders kapitaler Wasserberg heran, gelten in der Praxis keine Gesetze mehr. Selbst dort, wo die Surfelite unter sich ist, in den Riesenwellen an der Nordküste der Hawaii-Insel Oahu oder vor Bali, herrscht erhöhter Verdrängungswettbewerb. Die Aussicht, von einem der unzähligen Fotografen am Strand abgelichtet und mit einem Bild berühmt zu werden, führt regelmäßig zum Showdown zwischen Profisurfern und Locals. Verletzte und Schlägereien am Strand sind an der Tagesordnung. Der Traum von der endlosen Freiheit in den Wellen – ein verblassender Mythos?

Schon wird an manchen Plätzen in Kalifornien nur noch eine bestimme Anzahl von Surfern ins Wasser gelassen, um Spannungen zu vermeiden. Die Kontingente werden von der Polizei überwacht. In Australien lassen die Behörden künstliche Riffe bauen, um neue Spots zu schaffen und um so die bestehenden zu entlasten.

Insidern gehen solche Maßnahmen zu weit. „Surfer müssen lernen, Wellen zu teilen“, sagt DWV-Mann Twelkemeier und warnt vor Panikmache. Ohnehin sei das Phänomen des Localism nicht nur den vollen Stränden geschuldet, sondern im Wesentlichen auch das Ergebnis von „Macho-Allüren“.

Denn mitunter bekämpfen Locals auch Locals – wie in dem Fall des ehemaligen Surfweltmeisters Nat Young, der im März 2000 am Strand seines australischen Heimatreviers Angourie in New South Wales von einem Surfer krankenhausreif geschlagen wurde. Angeblich hatte Young dem Sohn des Kollegen eine Welle geklaut.

So setzen Surffunktionäre wie Neil Lazarow von der Surfrider Foundation lieber darauf, den Adrenalinpegel der Raubeine im Wasser auf natürlichem Weg zu senken – und hoffen, dass endlich mehr Frauen den Wellenreitsport für sich entdecken: „Schick ein paar Surferinnen hinaus in den Line-up, und jeder noch so harte Kerl wird friedlich.“

GERHARD PFEIL

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